RASKOLNIKOW –
karamasowisiert...
In dem schon legendären Bukarester Bulandra-Theater knüpft Yuri
Kordonsky mit seiner überraschenden Schuld
und Sühne-Version an alte Glanzzeiten an:
Nicht ein Schauspieler, sondern gleich drei spielen den von
Gewissensbissen geplagten Raskolnikow. Die so widersprüchlichen
Facetten seiner Persönlichkeit kommen auf diese Weise sehr
anschaulich zum Vorschein und mit ihnen - die Parallelen zu den
Karamasow-Brüdern:
hier der Agierende (ein Dmitri), dort der Mitleidige (ein Aljoscha),
drüben der ewige Rebell, der wild die Faust gen Himmel reckt (ein
Iwan). Und so wie Iwan, meiner Meinung nach, der interessanteste der
Karamasows ist, so ist auch der Rebell in Kordonskys Inszenierung
derjenige, der wieder und wieder die wunden Fragen (die wohl
wichtigste: Wieso lässt Gott das Leid
Unschuldiger zu?) zu stellen wagt und so
den Menschen in der Revolte
vorwegnimmt.
Zufällig
ist das nicht, konnte doch Dostojewski bezeichnenderweise solche
Passagen viel leichter schreiben als ekstatisch-fromme. Wie so viele
anderen war er kein wirklich Glaubender, sondern ein
Glaubenwollender.
Vielleicht hob er gerade deshalb das Orthodoxe so sehr hervor.
Kordonsky folgt diesem Streben. Einfache, aber um so efektvollere
Mittel (das Vorlesen aus dem Evangelium oder das Anstimmen des Vater
unser auf Russisch) heben den
heilsversprechenden christlichen Aufruf zu Demut, Reue und Buße
hervor.
Denn: Woran
scheitert dieser eigentlich? An falscher Planung? Am Wille Gottes?
Nein, er scheitert (und das kommt, ob gewollt oder ungewollt, sehr
eindringlich in Kordonskys Inszenierung zum Ausdruck) an seiner
eigenen Selbstverkennung. Napoleon, der unbeirrt Menschenleben
opfert, um seinen Weg zu Ruhm und Macht zu gehen, ist Raskolnikows
Vorbild. Hätte Napoleon gezaudert?, fragt er sich daher wieder und
wieder. Wohl kaum. Ein gut gerechtfertigter, weil notwendiger Mord
hätte jenem nicht sehr viel ausgemacht. Raskolnikow aber muß
Schlachten schlagen, die Napoleon nie zu schlagen brauchte, und zwar
aus einem sehr einfachen Grund: Er ist kein Napoleon-Typ. Darin liegt
sein Irrtum, seine Blindheit: Er rechnet nicht – mit seiner
Sensibilität und seinem Gewissen.
In diesem Sinne
offenbart Kordonskys Inszenierung den Abgrund, der den
hybrisgelenkten Tatmenschen vom luzid-sensiblen Intellektuellen
trennt. Und das ist sehr lehrreich.
Ioana Orleanu
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