Mittwoch, 23. November 2016

MENGE UND HAUTEVOLEE / Leopardi-Eminescu-Parallele II

Mircea Barnaure: Die Normalität des Wahnsinns oder Psycho-pat(h)en führen Staaten / Merci, Baldung Grien

Giacomo Leopardi (PALINODIA):
Wahrer Verdienst und echtes Vermögen, Genügsamkeit und Loyalität
Und der Gerechtigkeit Liebe werden immer und in jeder
Gesellschaftsform gänzlich fremd und fern
Von den gemeinen Geschäften,
Auch ganz unglücklich, gequält und besiegt sein.
Anmaßendes Sich-erdreisten und Betrug,
Mit Mittelmäßigkeit gepaart, werden immer regieren,
Auserwählt obenauf zu schwimmen. Entscheidungsgewalt und Macht
Wird jeder missbrauchen, der sie haben wird,
Unter welchem Namen auch immer.
Nahrung der Starken wird der Schwache immer sein,
Schmeichler der Reichen und Sklave der hungrige Bettler,
In jeder Form der Gesellschaft …


Mihai Eminescu (ANDREI MURESANU)
Wie dumm doch die Masse ist,
Sie glaubt, der Welt Geschick befände sich in ihren Händen,
Während sie selbst von einer Handvoll Listigen geführt wird.
Hast du von Natur aus
Nur so viel Grips, die Dummheit zu sehen
Und die grausame Bösartigkeit, welche die Masse beherrscht,
… baue aus ihnen die Leiter,
Auf die du zu Reichtum und Macht steigst,
Verstelle dich ruhig …,
Mit Floskeln schmeichle ihrer Eitelkeit,
Und sie werden dich auf den Schultern tragen, Hab' und Leben
Für dich auf opfernd. Doch sag' ihnen die Wahrheit,
Sie werden dich ans Kreuz schlagen …
Und jämmerlich wirst du verscheiden, von niemandem beweint …

Übertragungen von Mircea Barnaure und Ioana Orleanu

Sonntag, 20. November 2016

VIERZEILER DER EINSAMKEIT



Mircea Barnaure: An X und Y





er baute sein leben auf
wir lieben uns
doch sie auf
wir verachten uns
                                   Mircea Barnaure
                                   Mehr in einem demnächst erscheinenden Band.

Samstag, 12. November 2016

GOTTFRIED BENN: UND DANN NOVEMBER, EINSAMKEIT, TRISTESSE ... / ȘI-APOI NOVEMBRE, SINGUR ȘI-N AMAR ...



...
Und dann November, Einsamkeit, Tristesse,
Grab oder Stock, der den Gelähmten trägt –
Die Himmeln segnen nicht, nur die Zypresse,
der Trauerbaum, steht groß und unbewegt.
                                                        Gottfried BENN

...
Şi-apoi novembre, singur şi-n amar,
la cimitir sau în baston, paralizat –
iar cerul tace, chiparosul doar,
copac de doliu, ‘nalt stă, nemişcat.
                                                     Traducere Mircea Barnaure in Gottfried Benn - Melancolie

Sonntag, 6. November 2016

MAINT JOYAU ... / MANCHER EDELSTEIN ... / CÂTE-UN ODOR ...

Gretty Rubinstein: Selbstbild / Mircea Barnaure (Variante): Hommage tardif
...
Maint joyau dort enseveli
Dans les ténèbres et l'oubli,
Bien loin des pioches et des sondes;
Mainte fleur épanche à regret
Son parfum doux comme un secret
Dans les solitudes profondes.
                                            Charles BAUDELAIRE

...
Mancher edelstein ruht
Verschart in der finsternis hut
Und weit von stichel und brille.
Manche blume spart
Ihren duft wie geheimnis so zart
Vergebens in einsamer stille.
                                          Übersetzung: Stefan GEORGE

...
Câte-un odor e-nmormântat
Printre tenebre și uitat,
Ferit de cazmale și spate;
Și câte-o floar-emană cu regret
Parfumul ce l-ar vrea secret,
Învoaltă-n singuratate.
                                           Traducere: Mircea Barnaure / Ioana Orleanu in
                                                                                                  INTIMITÄT /INTIMITATE


Dienstag, 1. November 2016

DANTÈS UND CARTARESCU




© Mircea Barnaure


Stecke fest, mitten in der Hauptstädter Blechlawine. Auf Radio France Internationale – Mircea Cartarescu. Mit monotoner Beharrlichkeit zählt er seine Bücher auf. Dieses hier – wichtigst, jenes dort: darf nicht vergessen werden, das vorletzte: 15 Jahre Arbeit, das letzte: etwas ganz anderes, schon in der dritten Auflage, hat an die 100 Rezensionen, fast alle positiv, ja, die Kritik ist doch nicht am Ende, sie sieht, sie versteht, ist tiefsinnig! Wow. Ich höre weiter zu, sehr aufmerksam sogar, denn ich will ihn nicht verpassen, jenen Augenblick, da vielleicht DAS Wort, DER Gedanke fällt und meine übersprapazierte Geduld belohnt wird. Die Zeit vergeht, mein Mut sinkt.
Doch dann, nach einer geschlagenen Dreiviertelstunde, passiert es, jedoch ganz anders als erwartet. Der Nobelpreisanwärter evoziert Jugendlektüren. Und zaubert er, der Fabulierer vom Dienst, eine seiner unvergesslichen Metaphern hervor: Der junge Edmond Dantès sei eine – Raupe. Eine Raupe? Eine Raupe, tönt es beharrlich monoton, die sich im Gefägnis einpuppt und dann ausbricht und ein allmächtiger Schmetterling wird, DumaS … DumaS? DumaS? Jetzt höre ich nicht mehr zu, sondern warte nur noch, ungeduldigst, auf den Einwand der Moderatorin, sie ist des Französischen nur allzu mächtig, also, korrigiere ihn, kläre ihn auf, komm, sag es endlich, es heißt Dumas und nicht DumaS, o, wie tut das meinen Ohren weh!
Die honigsüße Moderatorin denkt aber nicht daran, den bekanntesten einheimischen Schriftsteller alive in eine so peinliche Lage zu bringen. Also schleimt sie weiter, honigsüß (nach langem Zögern sage ich es doch: bis zum Erbrechen!), das ist ihre Aufgabe, sie erfüllt sie mit Bravour. Wer hat, dem wird gegeben, sinniere ich resigniert, mitten in meiner Hauptstädter Blechlawine. Da hebt sich plötzlich meine Hand und der Zeigefinger drückt auf den off-botton. Mit aller Kraft. Und in der Stille, die nun einbricht, lächle ich das selbstzufriedenste Buddha-Lächeln: Wie schön in einer Zeit zu leben, in der jedem eine gewisse Allmacht gegeben ist...

                                                                                       Ioana Orleanu