Mircea Barnaure: Der Nachmensch... |
Du
schreibst mir Gedichte! … Du hast Probleme!
Das ist mir zu viel Stress! – diese
Fernsehfilmreplik zeigt ziemlich deutlich, dass das
Internet-Zeitalter Lyrik nur als Marker von Verschrobenheit wahrnimmt
und sonst ihrer nicht zu bedürfen meint.
Zugegeben: Dichter
genossen nie einen besonders guten Ruf, der Nimbus des
– komischen
Kauzes umhüllte seit eh und je ihr Haupt und wenn das
Ungestüm-Unmittelbare ihrer Persönlichkeit einige auch faszinierte,
so konnte diese Verzauberung doch nicht über der Normalsterblichen
grundsätzliche Herablassung hinwegtäuschen: Genie?
Was nützt es ihnen, wenn ihnen Lebenskraft fehlt, sie sich nicht
durchsetzen können und im Elend enden?
Der prosaische Geist, für den nur handfester Erfolg zählt, regiert
eben seit Menschengedenken die Welt. Für ihn kann der Dichter nur
ein Looser
sein.
Freilich
manchmal, in Aufbruch- oder Krisenzeiten, betrachtet man sie
wohlwollender. Ihre Erzeugnisse
wirken stärkend. Und tröstlich. So merkt man, dass man ihrer
bedarf. Dann können sich Gedichtbände (wie Benns Lyrik) plötzlich
auch hunderttausendfach verkaufen. Und Dichten kann zur
auszeichnenden Gabe mutieren – so während meiner Schulzeit, in den
70er Jahren im kommunistischen Rumänien, als dichtenden Mitschülern
der It-Faktor
anhing. In solchen Zeiten lieben Völker ihre Dichter sehr.
Sonst
lieben sie sie vor allem – wenn sie tot sind. Oh, wie dieser
kleine, unglückliche Umstand Eifer und Verehrung schürt! Lorbeeren
umkränzen die bleichen Stirnen, Titel werden erfunden
(Nationaldichter
und ähnliches Zeugs...), Denkmäler gebaut, Symposien organisiert
und Schulkinder mit unsterblichen Versen
gequält – alles den großen
Verstorbenen zu
Ehren. Man verwandelt sie in Heilige, ganz im Sinne des
vaterländisch-kleinbürgerlichen Geschmacks.
Das
ist sehr vorteilhaft: Völker können ihre Dichter nur
zurechtgestutzt ertragen. Ist einer atheistisch und sinnlich, wie
Eminescu1,
so wird er kurzerhand für engelsgleich,
rein,
bedürfnislos
erklärt: ein Wesen von ätherisch-selbstloser Substanz, das der Erde
nur allzu klobige Güter voller Verachtung von sich weist. Dass sich
so ein Eminescu durch seine Tage hindurchquält, gar in jungen Jahren
stirbt, oh, das ist sehr bedauerlich, aber Hand aufs Herz: Hat es ihm
so viel ausgemacht? Er lebte ja schließlich nur für seine Kunst und
wir
konnten rein gar nichts daran ändern...
Die
Dichter selbst werden nie müde, ihrer Zeitgenossen Ignoranz,
Borniertheit und Egoismus aufs Heftigste anzuklagen. Eminescu schämte
sich seiner Rumänen, Baudelaire wünschte sich anywhere,
but out of this world,
Kästner wetterte gegen Zeitgenossen
haufenweise,
Benn zog das Grab ihrer lästigen Gegenwart vor. Und heute, in diesem
unseren 21. Jahrhundert, gilt jenes so klarsichtige Van Gogh-Wort,
wonach das Geld das ist, was früher das Recht des Stärkeren war,
mehr als er sich je vorstellen konnte. Die Zeiten sind prosaisch wie
nie. Nur
haben, nur
konsumieren, nur
scheinen – nicht einmal das alte Rom konnte mit so viel
Oberflächlichkeit und gefeierter Kurzlebigkeit aufwarten. Oh, schöne
neue Welt, verführerischer als eine Salome-Legion. Da muss sich der
Ottonormalverbraucher schon wie ein Kreisel drehen, um die Früchte
seiner Arbeitswut, ihr zu Füßen zu legen. Keinen Augenblick darf er
mehr ruhen, nie zur Besinnung kommen, nie Muße kennen. Wie soll er
dann am Poetischen Geschmack finden?
Nein,
es ist durchaus kein Wunder, dass zig Verlage Lyrik ausdrücklich
nicht in ihrem Programm führen2.
Und dass andererseits zig andere, vornehmlich solche, die auf so
erfinderischen Gefilden wie die mioritisch3-balkanesischen
beheimatet sind, mit dieser Gattung ein nicht nur sehr lukratives,
sondern auch risikoloses Geschäft betreiben, indem sie, ganz
Krämerseelchen, sogar Werke bekannter Autoren im
(Selbst-)Sponsoringmodus herausgeben: Findet sich kein Kulturinstitut
oder Ministerium etc., um die Veröffentlichung zu finanzieren, zahlt
der Autor aus der eigenen Tasche. Und der Verlag verdient, ohne einen
Cent (bzw. Leu)
investiert zu haben. Autoren sind eben eitle Wesen, um ihren Namen
auf einen Buchdeckel gedruckt zu sehen, nehmen sie alles Mögliche
hin und mucksen nicht. Es ist, als hielte sie ein Omertà-Bann in
Schach. Warum sie also nicht schröpfen? Zumal in der Person des
ignoranten Lesers
der perfekte Sündenbock bereitsteht, dem alle Schuld für dieses
miese Verlegerverhalten aufgebürdet werden kann: Wenn
er sich nicht mehr mit Lyrik befassen, wenn er nicht mehr lesen will!
Dass auch der kultivierteste Leser lyrische Werke nicht lesen kann,
wenn diese nirgendwo vertrieben werden, das kehren die cleveren
Verlegerkrämerseelchen wohlweislich unter den Teppich.
(...)
Einst
waren Dichter noch Denker. Lyrik besagte daher noch etwas, sie
drückte Authentischstes, Wesentlichstes aus, schärfte den Blick für
Nuance und Tiefe, legte Verschüttetes wieder frei. Deshalb konnte
sie noch berühren und aus jedem noch so prosaischen Alltag
herausreißen. Man überließ sich ihr gerne. Heute jedoch ist sie
bestenfalls Spiel, in der Regel jedoch nur sinnentleertes Stammeln,
Spitzfindigkeit für verwirrte Snobs: Scharlatanerie. Die Dichter
betreiben selbstvergessen autistischste Nabelschau, die sie (in der
Hoffnung endlich aufzufallen und einen substanziellen Preis zu
gewinnen) mit dick aufgetragener Obszönität würzen.
So
mancher Literaturpapst hat hierzu seinen traurigen Beitrag geleistet,
indem er sich an Wortkunst,
an Sätzen,
an aus den Fingern gesaugten Metaphern und ultimativ ausgefallenen
Bildern ergötzte. So wurde das Unverständliche, schändlich
Verklausurierende (oh ja, es ist schändlich, weil es den Leser
verachtet!) zum einzig nachahmungswürdigen Ideal erhoben. Ideen,
Inhalt, Sinn? Großer Gott, man ist doch nicht mehr – 19tes
Jahrhundert! Damals konnte einer wie Eminescu noch monieren, dass
Bilder, die keine Ideen kleiden, nur sinnlose Farbkleckserei seien.
Aber jetzt? Jetzt entlocken solcherlei Einwände höchstens ein müdes
Lächeln. Der Geschmack ist postmodern geworden. Mit düsterer Miene
pflegt er an Neuartigem, beispielsweise esoterischem
Voyeurismus mit fremden Assoziationen
zu knabbern. Das ist wahrlich keine leichte Kost, ach, ach, man muß
es schon gestehen: sie erfüllt einen nur mit Leere und Langeweile –
und zwar ausgiebigst. Aber was soll man tun, man hat sich
weiterentwickelt, Fortschritt hat nun einmal seinen Preis...
(...)
Leben,
Realität, Wirklichkeit – es ist nämlich überhaupt kein Zufall,
dass Künstler hierin den Urgrund ihres Schaffens sehen. Denn Lyrik,
Kunst überhaupt, trägt die Essenz6
des Lebens in sich. Sie beugt sich über die kleinen, intimen Dinge
des Lebens, eine Sonnenblume, zum Beispiel, oder einen alten Kellner,
oder den Sommerkleid der Geliebten, durchleuchtet sie von allen
Seiten, hält sie über
den Abgrund7,
nimmt ihre Zerbrechlichkeit, ihre Vergänglichkeit, ihre Tragik wahr.
Denn alles ist verurteilt. Und jeder. Wir wollen das nicht wahrhaben,
wie Sträuße stecken wir den Kopf in den Sand und pochen darauf, uns
unsterblich wähnen zu dürfen. Was sind wir doch für arme Narren.
Dem mit Bewusstsein ausgestatteten Tier Mensch geziemt aber als
Lebenssinn, nein, weder Gier noch Ruhm noch Macht, sondern –
Erkenntnis und zwar jene, vor deren Hintergrund jede Mühsal im
Dienste unserer atavistischen Prägungen hinfällig wird. Sage mir,
was du gelebt, gelitten und erkannt hast, sage mir, wie
viel Wahrheit du erträgst8,
und ich sage dir, wessen Geisteskind du bist. Nun, Lyrik liefert
diese Erkenntnis. Darin liegt ihre Größe. Und ihre
Unentbehrlichkeit.
(...)
(...)
1Mihai
Eminescu (1850-1889), wichtigster rumänischer Dichter.
2Über
die Massenware, die sie sonst unter der Überschrift Literatur
anbieten, will ich mich hier nicht auslassen. Andererseits möchte
ich jetzt schon darauf hinweisen, dass so mancher Prosatext reine
Lyrik sein kann.
3Der
mioritische Raum, Essay des Dichters und Philosophen Lucian
Blaga (1895-1961), in dem er das den Rumänen spezifische Raumgefühl
beschreibt.
6Hier
bemühe ich wieder Van Gogh.
7Gottfried
Benn, Brief an F.W.
Oelze, 20.03.1938
8Friedrich
Nietzsche
Ioana Orleanu
Auszug aus dem Nachwort der mehrsprachigen Anthologie Intimität /Intimitate, Hamburg, 2015
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