Rodica Drasal / Mircea Barnaure: Rote Vergangenheit... |
Das
Doppelleben war ein unumstößliches Faktum
unserer
Zeit und niemand konnte es umgehen.
Nadeschda
Mandelstam
Das Nachhinein pflegt
freilich alles rosarot zu färben. Gerührt beugt man sich über die
alte Zeit, über die innige Verbundenheit, wie liebte man einander,
wie half man sich doch ständig: einer für alle, alle für einen!
Doch in Wahrheit war die
Verbundenheit ziemlich lose, schon damals war sich jeder selbst der
Nächste, die Liebe war stark konkurrenzgefärbt und die Zeiten, sie
waren wirklich nicht dafür geschaffen, Verbundenheit und
Hilfsbereitschaft zu begünstigen. Ich kann mich wirklich nicht daran
erinnern, dass wir uns geweigert hätten, das zu tun, was man von
uns verlangte. Wenn wir am Sonntagmorgen, um zehn Uhr, die Straßen
fegen sollten, so fegten wir die Straßen, wenn wir Lobeshymnen auf
die Partei singen sollten, so sangen wir Lobeshymnen, wenn wir
fähnchenschwenkend marschieren sollten, so marschierten wir brav
mit, und hätte man von uns verlangt, dass wir uns gegenseitig
aushorchen, verraten, beschuldigen – ich bin mir ziemlich sicher,
wir hätten es getan. Das Neinsagen war bei uns nicht vorgesehen.
Nur ein einziges Mal, ein
allereinziges, haben wir es probiert. Die Schule hatte ein Soll an
Zeitungsabonnements zu erfüllen. Also befahl man uns zu abonnieren.
Keiner war aber an jenem Mist interessiert, instinktiv lehnten wir
ab. Ich sehe noch unsere Klassenlehrerin, puterrot, ihren Ohren nicht
trauend, höre unsere Stimmen: Aber wir wollen das nicht, wenn wir
das nicht wollen!, spüre noch den elektrisierenden Trotz
in meinen Adern: wir wehren uns, wir lehnen ab, eine köstliche Wut,
die sich da entfesselte, eine Verbrüderung, die mehr verfolgte, als
Freizeit so angenehm wie möglich zu organisieren. Endlich! Es
dauerte ganze fünf Minuten. Die
Klassenlehrerin erklärte uns für verrückt: Seid gewiss, das wird
Folgen haben. Sie setzte selbst fest, wer was zu abonnieren hatte.
Und keiner murrte mehr.
Auszug aus LIMESLAND
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