Mircea Barnaure: Der Verstand geht baden ... |
Seien wir doch mal
ehrlich: Floskeln, hoffnungslos absehbar, hoffnungslos inauthentisch
– das bekommt man bei den meisten Gesprächen in erlauchter
Fernsehrunde serviert. Je nach Situation, die immergleichen Fragen,
gefolgt von den immergleichen Antworten. So vergehen die Jahre,
Moderatoren und ihre VIP-Gäste aus Politik und Wirtschaft altern
nebeneinander in trauter Verbundenheit und wir, vor dem Bildschirm,
werden auch nicht gerade jünger. Sollen wir damit unsere kostbare
Zeit verschwenden?
Wohl nur, wenn uns ein
kleiner Perspektivenwechsel gelänge: weg vom langweilig Politischen,
hin zum entlarvend Psychologischen. Dann könnte so eine Talkshow zu
einem aufschlussreichen Spektakel mutieren.
Nehmen wir zum Beispiel
Maischbergers vorletzte Sendung über die Silvesternacht in Köln.
Schauen wir uns Andreas Scheuer an, CSU-Generalsekretär und
Guttenberg-Klon. Wie süffisant er dasitzt und
das Wort an sich reißt und – es nicht mehr hergibt. In Onkel
Dagoberts Augen glänzte einst das Dollarzeichen, in Scheuers Augen
glänzt jetzt der Spruch: Profiliere dich, profiliere dich! Um
jeden Preis! Volker Beck, der
Dilemma geplagte innenpolitische Sprecher der Grünen, versucht
vergeblich es ihm gleichzutun. Scheuer ist eben ein Meister seines
Faches. Mit gelassener Souveränität klatscht er die Erklärungen
des Kriminologen Christian Pfeiffer an die Wand, weil dieser die
sozial-psychologische Komponente im Verhalten der Kölner Täter ins
Gespräch einzubringen wagt: Mich interessieren die Opfer
und nicht die Täter, so sein
kaltschnäuziges Urteil.
Ein Meister ist aber auch
Aizam Mazyk, der Zentralrat der deutschen Muslime, ein Meister des
Lavierens. Betretung ausdrücken, aber auch mahnen, eindringlich und
im gekonnten Wechselspiel, und dabei die brenzligen Themen wie
beiläufig aus den Weg räumen und mit strenger Entschiedenheit
verkünden: Unzulässig, ein Riesenfehler - einen Kontext
zwischen Religion und den Übergriffen in Köln herzustellen, der
Islam ehrt die Frau! Ha, möchte man ihm da von seiner Couch
entgegenfauchen, Frau verzichtet dankend auf solch erdrückende
Verehrung! Und überhaupt, Herr Zentralrat, wir leben in Europa, im
21. Jahrhundert, da wissen wir schon seit geraumer Zeit, dass
Religionen (alle!) Frauen als Menschen zweiter Klasse betrachten,
hören Sie also bitte auf, uns auf so billige Weise anzulügen!
Doch frau selbst ist in
ihrem Wohnzimmer, nicht im Studio, wo es übergesittet zugeht.
Chantal Louis, Vertreterin der führenden Emanzenzeitschrift der
Republik, widerspricht zwar noch, doch sie tut es so zaghaft (o, fast
vermisst man ihre Übermutter...), dass Mazyk genau so wenig Mühe
hat, ihre Einwände an die Wand zu klatschen, wie Scheuer die
Pfeiffer'schen: Wir sind nicht in Saudi-Arabien oder Iran, wir
sind in Deutschland! Und schon
fuchtelt er mit dem Pauschalisierungsvorwurf. Auf der Couch
ist man nicht still, sondern gibt ihm sofort zu bedenken, dass ein
durchaus wirksames Antidot gegen Pauschalisierungen auch bei seinen
Glaubensgenossen selbst liegt, nämlich gegen solche Übergriffe und
überhaupt gegen den Terror eine ähnliche Empörung an den Tag zu
legen wie seinerzeit gegen die Mohammed-Karikaturen. Im Studio kommt
man freilich nicht auf solch ketzerische Gedanken. Und Mazyk kann
seinem Unmut freien Lauf lassen, er scheut nicht mehr zurück, selbst
vor Opfern – nicht. Traurig, tönt er im Hinblick auf die
Silvesternacht, traurig, dass man den Diebstahl und nicht die
sexuellen Übergriffe so in den Vordergrund stelle, selbst als
Opfer. Hoppla. Das ist jetzt wirklich eine Ungeheuerlichkeit. Hat
man sich auf seiner Couch etwa verhört? Nein, ganz und gar nicht.
Die Runde jedoch hat sie – überhört. Allen voran: Maischberger
selbst. Längst hat sie bedingungslos kapituliert. Zu sehr plagt sie
das Grauen, in irgendein Fettnäpfchen zu treten.
Die Moral von der
Geschicht':
Politiker treffen
grundsätzlich die schlechten Entscheidungen. Dem Primat der
Wirtschaft unterworfen, können sie gar nicht anders, als kurzsichtig
zu sein. Angela Merkel hat im Sommer, als sie Deutschlands Grenzen
für Flüchtlinge öffnete, die richtige Entscheidung
getroffen. Und Deutschland konnte der Welt zeigen, dass es aus seiner
fürchterlichen Geschichte die richtigen Lehren gezogen hat. Es waren
goldene Augenblicke, auf die man stolz sein kann.
Das Erdendasein ist aber
komplex, widersprüchlich. Wir schaffen es!
Schaffen wir das? Der Wirklichkeit, jener ziemlich unbarmherzigen
Dame, muss man etwas mehr als trotzige Zuversicht bieten. Auch kommen
Fragen auf: Regierungen, Ministerien, Geheimdienste planen voraus,
spielen Szenarien durch, verfügen über Notpläne. Und doch hat man
diese Flüchtlingswelle nicht vorausgesehen, im Gegenteil, man hat
sich derart überrumpeln lassen, dass Tausende und Abertausende ohne
Registrierung einreisen konnten. Kann man sich das vorstellen? Nicht
registriert – in diesem
unseren sonst bis ins Kleinste registrierungswütigen Deutschland!
Dass man mich richtig verstehe: Ich setze hier keine böse Absichten
voraus. Wilde Verschwörungstheorien, so wie sie in Osteuropa
kursieren (Die diabolische Merkel hat das geplant,
Deutschland braucht billige Arbeitskräfte
usw., usf.), empfinde ich als hirnrissige Zumutung. Ich spreche von
etwas anderem: falschen Einschätzungen, staatlichem Versagen,
Schlamperei. Wer übernimmt dafür die Verantwortung?
Vor
diesem Hintergrund klingt jenes Wir schaffen es
wie ein etwas verzweifeltes Gebot: Wir müssen es schaffen. Weil wir
gar keine Alternative haben. Doch das kann nur gelingen, wenn man das
eine tut, das andere jedoch nicht lässt. Besinnen wir uns also, dass
der Mensch auch das vernunftbegabte Tier ist.
Ioana Orleanu
Ioana Orleanu
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