Montag, 22. Juni 2015

GLEICHZEITIGKEITEN

Mircea Barnaure: Alles ist möglich...


Einerseits:
Ein Theaterfestival, das alle Rekorde bricht. 427 Aufführungen, 66 Spielstätten, 35000 Besucher täglich. Zur Eröffnung: Big Bang, die Show französischen Straßentheaterkompanie Plasticiens Volants. Dann: Das Deutsche Theater Berlin mit Muttersprache Mameloschn, das Teatr Polski aus Wroclaw mit Courtney Love, der besten polnischen Aufführung 2013, das Burgtheater mit Reise nach Petuschki. Tanz aus China, Kabuki aus Japan, Flamenco aus Spanien – immer auf höchstem Niveau. Brandauer, LaBute, Pommerat, Nekrosius und Kushida geben sich die Klinke in die Hand.
Wenn das so weitergeht, wird Sibiu Avignon und Edinburgh überflügeln.
Andererseits:
Ein Premier (Victor Ponta), der angeklagt ist, Vergütungen für nie stattgefundene Beratungen mit Ministerpöstchen honoriert zu haben – und nicht zurücktreten will.
Ein Parlament, das sich weigert die Immunität dieses Premiers aufzuheben, also: die Strafverfolgung behindert – und sich, quasi als Belohnung für diese sehr demokratische Tat, unverschämte Rentenerhöhungen bewilligt.
Ein Senatsvorsitzender (Calin Popescu Tariceanu), der die einzig wirklich funktionierende Behörde des Landes: die Antikorruptionsdirektion mit den Organen der Stalin-Zeit vergleicht, weil sie ihn und seinesgleichen bedroht - und sich in eine Normalität zurücksehnt, in der Bestechung und Veruntreuung folgenlos blieben. (Gerade eben ist er der gemeinsamen Sitzung von Senat und Abgeordnetenhaus, bei der Klaus Iohannis seine Nationalstrategie für Sicherheit vorgestellt hat, absichtlich ferngeblieben. Den Staatspräsidenten im Parlament zu empfangen und diese Sitzung zu präsidieren, hätte zu seinen Pflichten als Senatsvorsitzender gehört. Ihm war es jedoch wichtiger, Iohannis öffentlich zu brüskieren.)
Ein Ex-Staatspräsident (Traian Basescu), der sich bis vor einem halben Jahr als Bollwerk gegen die Korruption präsentierte – und jetzt die vielen Verfahren gegen hohe Beamte anprangert, weil sie nun auch seine Clique treffen.
Ein Bürgermeister (Andrei Chiliman), der bei seiner Rückkehr aus dem Ausland gleich am Flughafen festgenommen wird, weil er als Gegenleistung für städtische Aufträge seit Jahren 10-15% gefordert haben soll.
Parlamentsmitglieder, Minister, hohe Beamte, steinreiche Unternehmer, die in schöner Regelmäßigkeit verhaftet werden, weil ihre Machenschaften endlich Stück für Stück aufgedeckt werden (schwindelerregend die Beträge, um die es geht; sie stammen nicht selten aus der nie versiegenden Schatzkammer in Brüssel; wenn sie dort angelangt wären, wo sie hätten anlangen müssen, würde Rumänien anders aussehen) – und die mit neuen Gesetzen Verfahren blockieren wollen, damit ihrem Treiben kein Ende gesetzt werde.
Bürger, die gegen dieses System der Korruption, der Beziehungen und mafiotischen Seilschaften nicht aufbegehren, weil sie sich damit mehr als abgefunden haben – und nur so leben können. Die Krankheit währt ja seit Jahrhunderten: Aus Byzanz geerbt, von Osmanen und Fanarioten übertragen, unter Monarchie und Kommunismus erfolgreich verbreitet, ist sie in Fleisch und Blut übergegangen, zum So-Sein geworden. Der Geschichte sei Dank. (In diesem Sinne hat der Senatsvorsitzende Recht: Das ist die Normalität. Folglich muß jeder Versuch, Staat und Gesellschaft zu therapieren, als abnorm empfunden werden. Wie im Bruderland Griechenland übrigens auch.)

Das alles sind Begebenheiten der letzten zwei Wochen.
Woraus ersichtlich wird, daß Rumänien ein aufregendes Land ist, widerspruchsvoll, faszinierend: Hier ist jederzeit alles möglich. Auch – daß es dich zur Verzweiflung bringt...

                                                                                      Ioana Orleanu

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